Xi Jinpings Rede auf dem Boao-Forum war sein jüngster Appell für eine offene Weltwirtschaft und gegen eine von den USA angeführte Abkopplung.
In Zeiten schwerwiegender geopolitischer Probleme ist es an einem wahren Staatsmann, auf das globale Podium zu treten und eine schädliche Atmosphäre des Kalten Krieges 2.0 zu entschärfen. Präsident Xi Jinping hat mit seiner Grundsatzrede auf dem jährlichen Boao Forum in Hainan geliefert.
Hier ist die vollständige Rede. Und lassen Sie uns mit einem einzigen Satz beginnen:
In der Zeit der Covid-19-Pandemie haben die Menschen aller Länder deutlicher erkannt, dass es notwendig ist, die Mentalität des Kalten Krieges und das Nullsummenspiel aufzugeben und sich jeder Form eines neuen Kalten Krieges und einer ideologischen Konfrontation zu widersetzen.
Das Publikum in Boao, war eine Art Sino-Davos-Treffen, bestand aber nicht nur aus panasiatischen Gästen. Bezeichnenderweise schenkten u.a. Elon Musk von Tesla, Tim Cook von Apple, Stephen Schwarzman von Blackstone und Ray Dalio von Bridgewater Xi ihre volle Aufmerksamkeit.
In einer relativ kompakten Rede legte Xi einmal mehr die Architektur des Multilateralismus offen – und wie ein wieder zur Supermacht aufgestiegenes China darin passt.
Die Botschaft richtete sich zwar subtil an den Hegemon, aber vor allem an ein sich schnell integrierendes Eurasien, sowie den gesamten Globalen Süden.
Xi betonte den Multilateralismus als Reich der Gerechtigkeit, nicht der Hegemonie, mit „umfassender Konsultation“, großen Ländern, die sich „standesgemäß und mit größerem Verantwortungsbewusstsein“ verhalten, und all das führe zu „gemeinsamen Vorteilen“, nicht zum Wohl der 0,001%.
Peking sieht eine offene Weltwirtschaft als Weg zum Multilateralismus – was bedeutet, dass es keine „Mauern“ und keine „Abkopplung“ gibt, wobei China seine eigene Wirtschaft schrittweise öffnet und die Vernetzung von Lieferketten, digitaler Wirtschaft und künstlicher Intelligenz (KI) fördert.
Kurz gesagt, das ist eine Made in China 2025 in Aktion – ohne auf die in der Trump-Ära viel verteufelte Terminologie zurückzugreifen.
Multilateralismus und offene Wirtschaft sind zentrale Bestandteile der Belt and Road Initiative (BRI) – die nicht nur ein riesiges Handels-/Entwicklungsmodell, sondern auch Chinas übergreifendes außenpolitisches Konzept ist.
So musste Xi einmal mehr betonen, dass die BRI „eine öffentliche Straße ist, die allen offensteht, und kein privater Weg, der einer einzigen Partei gehört“.
Es geht ebenso um Armutsbekämpfung, Wirtschaftswachstum und Infrastruktur „harte Konnektivität“ wie um „weiche Konnektivität“ – wozu auch die „Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten, der öffentlichen Gesundheit, der traditionellen Medizin und anderen Bereichen“ gehört.
Es ist ziemlich aufschlussreich, dass Xi, als er die Übernahme chinesischer Impfstoffe erwähnte, dies mit zwei Beispielen aus dem globalen Süden illustrierte: Brasilien und Indonesien.
Wie man den Globalen Süden verführt
Der chinesische Ansatz für ein neues Muster internationaler Beziehungen schöpft sowohl aus Konfuzius als auch aus dem Dao. Daher die Betonung der „Schicksalsgemeinschaft“, die global angewandt wird, und die Ablehnung eines „Kalten Krieges und einer Nullsummen-Mentalität“ sowie einer „ideologischen Konfrontation in jeglicher Form“.
Die Betonung liegt auf „Gleichheit, gegenseitigem Respekt und gegenseitigem Vertrauen“ an der Spitze der internationalen Beziehungen sowie auf „Austausch und gegenseitigem Lernen zwischen den Zivilisationen“. Die überwältigende Mehrheit des Globalen Südens hat die Botschaft sicherlich verstanden.
Die Realpolitik diktiert jedoch, dass der Kalte Krieg 2.0 bereits in Kraft ist und Washington gegen die strategische Partnerschaft zwischen Russland und China ausgespielt wird.
Der Schlüsselbereich, in dem das Spiel gespielt wird, ist in der Tat der gesamte Globale Süden.
Xi muss sich also darüber im Klaren sein, dass Peking beweisen muss, dass „eine neue Art von internationalen Beziehungen“ der bevorzugte Weg in die Zukunft ist.
Der Globale Süden wird sich der Bemühungen Chinas sehr bewusst sein, „mehr zu tun, um den Entwicklungsländern zu helfen, das Virus zu besiegen“ und „seine Verpflichtung zu erfüllen, Impfstoffe zu einem globalen öffentlichen Gut zu machen.“
Auf praktischer Ebene wird dies ebenso entscheidend sein wie China in Schach zu halten, mit Verweis auf Xis Versprechen, dass der Zivilisationsstaat „niemals nach Hegemonie, Expansion oder einer Einflusssphäre streben wird, egal wie stark er auch werden mag“.
Tatsache ist, dass große Teile Asiens eine natürliche, chinesische wirtschaftliche Einflusssphäre sind.
Die Europäische Union wird sich stark auf die „multilaterale Zusammenarbeit bei Handel und Investitionen“ konzentrieren – in Anspielung auf die Ratifizierung und Unterzeichnung des Handelsabkommens zwischen China und der EU später in diesem Jahr. Und US-Unternehmen, die Xis Rede aufmerksam verfolgen, werden sich sehr für ein verlockendes Versprechen interessieren: „Alle sind willkommen, an den riesigen Möglichkeiten des chinesischen Marktes teilzuhaben“.
Die internationalen Beziehungen sind nun völlig polarisiert zwischen konkurrierenden Regierungssystemen.
Doch für die überwältigende Mehrheit der Akteure im Globalen Süden, vor allem für die ärmeren Nationen, ist der ultimative Test für jedes System – wie chinesische Gelehrte so gut wissen – die Fähigkeit, die Gesellschaft voranzubringen und das Leben der Menschen zu verbessern.
Chinesische Gelehrte und politische Entscheidungsträger bevorzugen das, was sie als SMART (spezifisch, messbar, erreichbar, relevant, zeitgebunden) Entwicklungspläne definieren.
Dies hat in der Praxis dazu geführt, dass die Mehrheit der chinesischen Bürger Vertrauen in ihr politisches Modell hat – unabhängig von den Interpretationen des Westens.
Was zählt, ist, wie Peking in kürzester Zeit die Kontrolle über Covid-19 erlangt hat; wie die Wirtschaft wieder wächst; wie die Armutsbekämpfung ein riesiger Erfolg war (800 Millionen Menschen aus der Armut in drei Jahrzehnten; 99 Millionen Menschen auf dem Land und 128.000 ländliche Dörfer im letzten Abschnitt); und wie das offizielle Ziel, eine „mäßig wohlhabende Gesellschaft“ zu erreichen, erreicht wird.
Peking hat im Laufe der Jahre das Narrativ eines „friedlichen Aufstiegs“ auf der Grundlage seiner immensen historischen und kulturellen Hinterlassenschaften sorgfältig formuliert.
In China ist das Zusammenspiel zwischen historischer Resonanz und Zukunftsträumen für einen Ausländer äußerst komplex zu entschlüsseln. Rhythmen aus der Vergangenheit klingen immer auch in der Zukunft nach.
Das bedeutet letztlich, dass der chinesische Exzeptionalismus – ganz offensichtlich durch die Jahrhunderte der Geschichte hindurch – im Wesentlichen auf dem Konfuzianismus basiert, der Harmonie als höchste Tugend definiert und Konflikte verabscheut.
Und das ist der Grund, warum China nicht der kriegerischen, kolonialistischen jüngeren Vergangenheit des hegemonialen Westens folgen wird: einmal mehr eine der Schlüsselbotschaften von Xis Boao-Rede.
Wenn es Peking gelingt, dieses Narrativ der „historischen Mission“ im gesamten Globalen Süden zu verankern – mit konkreten Taten und nicht nur mit Rhetorik -, dann werden wir ein ganz neues Spiel beginnen.
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